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«Ziel bei allem ist es Arbeitsplätze zu erhalten»

WAHLEN SOLOTHURN

Solothurner Zeitung, Urs Mathys, 08.02.2021

 

Regierungsratswahlen 2021: Regierungsrätin Brigit Wyss (Grüne) stellt sich der Wiederwahl.

Foto: Hanspeter Bärtschi

 

 

 

Darauf, dass eine Grüne in den Solothurner Regierungsrat gewählt wird, hätte 2017 niemand gewettet. Doch Brigit Wyss schaffte es. Und als Volkswirtschaftsdirektorin hat sie sich als krisensicher erwiesen. Am meisten Lob erntet sie allerdings nicht im linken Lager. Darüber mehr im Interview.

 

Wie beurteilen Sie die aktuelle Coronapolitik des Bundes?

Es gibt Bereiche, in denen es sehr gut funktioniert hat. Dort wo es um die wirtschaftlichen Massnahmen gegangen ist, hat der Bund sehr schnell und zielgerichtet gehandelt – auch wenn wir immer wieder nachfragen mussten. Betreffend die Taskforce, die Pandemie und den Gesundheitsbereich haben wir alle – auch der Bund – viel lernen müssen. Einige Entscheide waren besser nachvollziehbar als andere. Aber insgesamt ist es aus meiner Sicht eine positive Bilanz.


Zur Person Brigit Wyss

 

ist gelernte Schreinerin und Psychi­atrieschwester, nach der nachgeholten Matur absolvierte sie ein Jus-Studium: Die Stadtsolothurnerin Brigit Wyss, geboren am 22. April 1960, hat einen interessanten Werdegang. Politisiert durch das Autobahnprojekt A5, schloss sie sich den Grünen an. Sie war Gemeinderätin, Kantonsrätin und 2007 bis 2011 Nationalrätin. Vor vier Jahren wurde die Mutter einer Pflegetochter und eines Sohnes überraschend in den Regierungsrat gewählt. Sie führt das Volkswirtschaftsdepartement. (ums.)


Und Ihre Bilanz zum Handeln des Kantons?

Das müssen wohl letztlich andere beurteilen. Unsere Stärke, dass wir ein Kanton der kurzen Wege sind, hat sich enorm bewährt: Wir sind mit allen Betroffenen stets rasch in engem Kontakt – ob das nun die Wirtschaft ist, die Altersheime oder die Spitäler sind. Wir versuchen immer alle abzuholen – aber am Schluss gibt’s halt einen Entscheid, mit dem wir als Regierungsrat die Verantwortung übernehmen müssen.

 

Bleiben wir beim Thema Corona. Hätten Sie jemals gedacht, dass eine Pandemie uns alle derart einschneidend treffen könnte?

Eine Pandemie – Stichwort afrikanische Schweinegrippe – als mögliche Bedrohungslage war zwar immer irgendwie präsent. Aber das, was jetzt eingetreten ist, habe ich mir nicht vorstellen können.

 

Als Volkswirtschaftsdirektorin sind Sie gefordert. Wirtschaft und Gewerbe sind teilweise am Anschlag, nicht alle sind zufrieden wegen all der Einschränkungen. Verstehen Sie, dass sich da Unmut breit macht?

Das kann ich sehr gut verstehen. Unser Ziel nach der ersten Welle war es ja, Geschäfts- und Baustellenschliessungen zu verhindern. Das Gewerbe und die Wirtschaft allgemein haben mit einem riesigen Aufwand entsprechende Schutzkonzepte ausgearbeitet. Aber leider hat das nicht ausgereicht …

 

Insbesondere Restaurants haben viel Aufwand und Geld zum Beispiel in bauliche Schutzmassnahmen gesteckt – umsonst?

Ich hoffe, dass wir mit den Härtefallmassnahmen etwas von dem abfedern können, was sie geleistet haben. Bei den amtlichen Kontrollen hat sich gezeigt, dass die allermeisten Betriebe sehr gute Vorkehrungen getroffen haben. Ich glaube nicht, dass das alles umsonst gewesen ist: Wir wissen nicht, wie lange die Pandemie noch geht.

Vielleicht kann bald wieder auf diese Schutzkonzepte zurückgegriffen werden

– und so könnten dann auch Öffnungen wieder möglich werden.

 

Wo und wie könnte der Kanton noch mehr leisten für Gewerbe und Wirtschaft?

Wir sind daran, die Härtefallmassnahmen weiter anzupassen – auch auf Grund neuer Vorstösse im Kantonsrat. Hier bessern wir laufend nach. Ich glaube, dass es gelungen ist, dem Kantonsrat aufzuzeigen, dass der Bund zwar schnell handelt, dass dabei aber einzelne Fragen zunächst offen bleiben. Diese Fragen werden laufend geklärt und die allfälligen neuen Bestimmungen müssen anschliessend in die kantonale Härtefallverordnung aufgenommen werden. Ziel bei allem ist es, dass wir Konkurse verhindern und damit Arbeitsplätze erhalten können.

 

Was kann der Kanton mittel- und längerfristig zur Sicherung von Firmen und Jobs leisten?

Stabilität und die klaren Rahmenbedingungen sind das A und O, um den ansässigen Unternehmen Sicherheit geben zu können. Darüber hinaus haben wir einige Ideen, wie wir unseren Standort besser vermarkten können. Doch das muss jetzt warten.

 

Kommen wir zum Thema Energie: In der kantonalen Energiepolitik setzen Sie auf das CO2-Gesetz des Bundes: Was aber, wenn dieses in Zeiten von Corona in der Referendumsabstimmung scheitert?

Der Abstimmung über das CO2-Gesetz – voraussichtlich im Juni – sehe ich mit Spannung entgegen. Wie immer diese ausgeht, wird es Anpassungen auf kantonaler Ebene geben müssen. Derzeit sind wir daran, die kantonale Energiestrategie 2050 zu überarbeiten: wieder mit der gleichen Gruppe von Stakeholdern, die auch schon zum Einsatz kam. Hauptdiskussionspunkt ist das Tempo. Aber die Stossrichtung – nämlich Ressourcen schonen, weniger CO2-Ausstoss usw. – ist unbestritten und wird geteilt von den teilnehmenden Meinungsmachern.

 

Wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, sind auch Lenkungsmassnahmen nötig. Glauben Sie, dass die Bürgerinnen und Bürger in der aktuellen Lage bereit sind, fürs Klima tiefer in die Taschen zu greifen?

Wir verzeichnen gegenwärtig sehr viele Unterstützungsgesuche für Effizienzmassnahmen im Gebäudebereich und für den Heizungsersatz mit erneuerbaren Energien. Das zeigt mir, dass Interesse und Bereitschaft in der Bevölkerung vorhanden sind. Die Bevölkerung ist teilweise schon viel weiter, als manche Politiker glauben.

 

Sie setzten primär auf Eigeninitiative, statt auf staatlichen Druck?

Das CO2-Gesetz wird diesen Druck ein Stück weit erhöhen: So wird etwa der Einbau fossiler Heizungen erschwert. Aber tatsächlich ist 2020 das zweite Jahr in Folge, in dem landesweit mehr Heizungen mit erneuerbaren Energien eingebaut worden sind als solche mit fossilen. Dazu hat sicher auch die Klimadiskussion beigetragen.

 

Hätten Sie als Jugendliche auch an den Klimademos mitgemacht?

Ich war früher auch an Demonstrationen dabei. Heute habe ich andere Möglichkeiten, mich einzubringen. Aber es ist in der Schweiz das gute Recht Aller, für ihre Anliegen zu demonstrieren.

 

Es gibt auch Leute, die recht aggressiv gegen das Maskentragen demonstrieren: Haben Sie Verständnis dafür?

Ich habe Verständnis für den Unmut. Aber in diesem Fall geht es ja nicht nur um einen selbst und um die eigenen Ideale, sondern es geht auch um das Vis-à-Vis und um dessen oder deren Schutz. Wenn ich jemanden schützen kann durch mein Verhalten, dann mache ich das.

 

Werden Sie sich gegen Corona impfen lassen?

Wenn mein Jahrgang an der Reihe ist, werde ich mich impfen lassen, ja.

 

Keine Bedenken?

(Überlegt) Nein, da vertraue ich nun der Wissenschaft. Da haben sich weltweit derart viele Leute intensiv mit der Entwicklung der Impfstoffe beschäftigt. Ich vertraue den Fachleuten, wenn sie sagen, dass uns das Impfen hilft, aus diesem Teufelskreis mit monatelangen Lockdowns, mit Öffnen und Schliessen herauszukommen.

 

«Vor Corona» dominierten die Themen Klima und Umwelt die Diskussionen. Nun könnte es statt einer Klimawahl eine «Corona-Wahl» geben. Gefährlich für die Grünen – und für Sie …

Natürlich steht Corona jetzt zuoberst auf der Traktandenliste. Was das bei den Wählerinnen und Wählern bewirkt, das kann ich nicht sagen.

Die Probleme rund um Umwelt und Klima sind in den Hintergrund getreten – aber sie sind deswegen nicht verschwunden.

Ich vertraue darauf, dass dieses Bewusstsein wirksam bleibt.

 

Den Linken zu wenig grün – und für die Bürgerlichen halt doch eine Linke: Das könnte Sie bei den Regierungsratswahlen die entscheidenden Stimmen kosten …

Wahlen sind Wahlen. Ich bin eine Grüne! Aber als Regierungsrätin fühle ich mich unserem System der Konkordanz verpflichtet. Ich bin sehr lösungsorientiert und entsprechend kompromissbereit. Aber mein politischer Rucksack ist bestückt mit grüner Politik.

 

Bemerkenswert ist, dass Sie vom kantonalen Gewerbeverband soeben das Prädikat «wählbar» erhalten haben. Fluch oder Segen für Sie?

Die Unterstützung kam überraschend und freut mich sehr. Ich denke, dass insbesondere die intensive und gute Zusammenarbeit der letzten Monate dazu beigetragen hat.

 

 

Ein Blick auf Ihren Smartspider zeigt, dass Ihnen eine liberale Wirtschaftspolitik fast so wichtig ist wie ein ausgebauter Umweltschutz. Wie erklären Sie das Ihren Parteigängern?

Ich bin überzeugt, dass die Schweiz auf ein Geflecht internationaler Handelsbeziehungen angewiesen ist. Ebenso, dass wir ein gutes und geordnetes Verhältnis zur EU brauchen. Wenn das liberal ist, dann gelte ich gerne als liberal. Zentral ist aber, dass wir diese Beziehungen so gestalten, dass sowohl ökonomische, ökologische als auch soziale Aspekte gleichermassen berücksichtigt werden. Nachhaltigkeit ist zwar allgegenwärtig, aber konkret – im politischen Alltag – wird sie zu wenig berücksichtigt.

 

Sie selbst sehen sich in der Regierung als Garantin dafür, dass es möglichst wenige Abstriche gibt?

Nachhaltige Entwicklung setzt voraus, dass es auch eine starke, innovative Wirtschaft gibt.

Wir brauchen Arbeitsplätze damit Menschen ihr Auskommen generieren können.

Das ist genau gleich wichtig wie der Einsatz dafür, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter aufgeht oder dass wir schonender mit unseren Ressourcen umgehen.

 

Leiden Sie manchmal am Spagat zwischen grünem Rucksack und der Aufgabe als Regierungsrätin?

Nein, ich leide nicht. Aber es erzeugt manchmal Spannungen, die man aushalten können muss. Das ist manchmal einfacher – und manchmal tuts mehr weh. Aber bei allem:

Ich bin sehr gerne Regierungsrätin und erfülle diese Aufgabe sehr gerne. Auch in diesen schwierigen Zeiten.

Ich habe das Gefühl, dass ich etwas bewirken kann – logischerweise halt nicht in Riesenschritten.

 

Die SVP will endlich in die Regierung; die FDP will ihren zweiten Sitz zurück: Was, wenn in dieser Konstellation nicht einer der beiden CVP-Sitze verloren geht, sondern Ihr Sitz?

Rein machtpolitisch habe ich als Vertreterin der Grünen – mit einem Wähleranteil von 7,5 Prozent – wenig in die Waagschale zu werfen. Aber ich trete mit Motivation und Überzeugung an – es gibt bei mir keinen Plan B.

 

Sie sind eine Politikerin ohne Berührungsängste. Wie führen Sie Ihren Wahlkampf in Zeiten von Corona?

Es findet halt einfach alles digital statt. Zum Beispiel mit digitalen Stammtischen. Ganz glücklich werde ich mit solchen Lösungen nie sein. Aber jetzt müssen wir uns halt nach den Rahmenbedingungen richten und das Beste daraus machen. Ich vermisse den direkten Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern sehr. Es betrübt mich, wenn ich nicht auf den «Märet» und unter die Leute gehen kann.

 

Besteht nicht die Gefahr, so die Bodenhaftung und den Draht zur Basis zu verlieren?

Das ist sicher eine Gefahr. Was ich deshalb viel häufiger mache als früher: Ich greife zum Telefon. Ganz ohne solche Kontakte geht es nicht.

Wichtig ist, dass wir gerade in dieser Zeit zueinander Sorge tragen, die Probleme des anderen erkennen und darauf eingehen.

Die Stimmung ist angespannt, das zeigen mir auch Mails, die ich erhalte. Wenn sich zum Beispiel jemand für den schroffen Inhalt eines während der Nacht verschickten Mails entschuldigt und erklärt, dass er einfach nicht mehr weiterwisse, geht das nicht spurlos an einem vorbei.

 

Erhalten Sie viele solche Mails?

Nein, nicht sehr viele. Aber jene, die kommen, die sind sehr berührend – egal, ob von Arbeitnehmenden oder Arbeitgebern.

 

Wie reagieren Sie darauf?

Wenn möglich mit einer persönlichen Kontaktaufnahme, meist verbunden mit dem Versuch, mögliche Auswege aufzuzeigen. Manchmal sagen die Leute auch, dass sie froh seien, ihre Sorgen nur schon einmal schildern zu können, damit die Regierung wisse, was ihre Probleme seien.

 

Sagen Sie uns: Was wird nach der Pandemie die grösste politische Herausforderung sein?

Die grösste Herausforderung ist, nur schon aus der Pandemie herauszukommen. Wie machen wir das? – Wird Corona ein Teil unseres Alltags? Die Pandemie wird so schnell nicht verschwinden.

Ziel muss es sein, wieder zu einem Alltag zu kommen, in dem wir alle wieder möglichst viele Freiheiten zurückerhalten.

Denn die wirtschaftlichen und die sozialen Spuren, welche die Pandemie hinterlässt, sind heftig. Und bald einmal wird sich auch die Frage nach dem Gleichgewicht unseres Finanzhaushaltes stellen – oder wie es klima- und energiepolitisch weitergehen soll.