Solothurner Zeitung, Raphael Karpf, 31.10.2019
Die Schützi in Olten ist einer von insgesamt 139 Notfalltreffpunkten im Kanton. V.l.n.r.: Diego Ochsner, Chef des kantonalen Amts für Militär und Bevölkerungsschutz, Benno Bühlmann, Direktor des Bundesamts für Bevölkerungsschutz, Regierungsrätin Brigit Wyss und Franco Giori, Kommandant der Regionalen Zivilschutzorganisation Olten. © Bruno Kissling
Der Schutz und die Kommunikation mit der Bevölkerung in Krisensituationen – bei einem Erdbeben oder Blackout etwa – wird im Kanton Solothurn neu organisiert. Der Kanton hat dafür insgesamt 139 «Notfalltreffpunkte» geschaffen, bei denen Menschen in Ernstfall Hilfe und Informationen bekommen.
Das Szenario könnte ein Erdbeben sein. Oder ein Cyberangriff. Oder ein heftiger Sturm. In der Folge würde der Strom grossflächig ausfallen, die Bevölkerung sässe im dunkeln. Möglicherweise ertönen die Sirenen. Die erste Reaktion sollte sein: Zu Hause bleiben und Radio hören. Und auch über die App «Alertswiss» wird jeweils über die aktuelle Lage informiert. Doch was tut jemand, der kein Radio hat? Oder was passiert, wenn nicht einmal mehr die Radios senden?
«Wir haben festgestellt, dass gerade bei einem Stromausfall die Kommunikation zwischen den Behörden und der Bevölkerung ein Problem ist», sagte am Donnerstag Diego Ochsner, Chef des kantonalen Amts für Militär und Bevölkerungsschutz, an einem Medienanlass. Deshalb hat man sich entschlossen, zusammen mit dem Kanton Aargau ein neues System zu erarbeiten. An besagter Medienkonferenz wurde das Projekt vorgestellt.
Analoge Hilfe im digitalen Zeitalter
Mit «zurück zu den Anfängen» könnte man das Projekt umschreiben. In einer Welt, die immer stärker digital funktioniert, soll im Notfall neu auch mit einfachen, analogen Mitteln informiert und geholfen werden können. Dazu hat der Kanton Solothurn insgesamt 139 Notfalltreffpunkte eingerichtet. Für jede Gemeinde gibt es mindestens einen, in grösseren mehrere. In der Stadt Olten etwa gleich deren fünf. Das sind jeweils markante Gebäude in den Dörfern – Gemeindeverwaltungen oder Turnhallen etwa – die mit einem Schild gekennzeichnet werden. Im Krisenfall wird dort der Zivilschutz innerhalb von einer Stunde den Notfalltreffpunkt einrichten, innerhalb von maximal zwei Stunden wäre er voll einsatzbereit. Wenn nötig könnte der Betrieb an diesen Orten tagelang aufrechterhalten werden.
Strom, Essen, Trinken und Informationen
Vor Ort wird mit Aggregaten Strom produziert. Dies könnte gerade für Leute, die zum Beispiel auf Beatmungsgeräte angewiesen sind, überlebenswichtig sein. Weiter erhalten die Menschen dort rudimentäre erste Hilfe, Essen und Trinken und fürs Erste ein Dach über den Kopf. Hauptzweck dieser Einrichtungen soll aber sein, der Bevölkerung eine Anlaufstelle zu bieten, wo sie sich Informationen holen kann. Wie geht es weiter? Was muss ich nun tun? Und gleichzeitig kann am Notfalltreffpunkt auch weitere Hilfe angefordert werden, von dort kann etwa ein Notruf abgegeben werden.
Schliesslich dienen die Notfalltreffpunkte auch als Sammelpunkt, sollte eine grossflächige Evakuation nötig sein. Von diesen Treffpunkten aus würde dann die Bevölkerung in sicherere Gebiete verlegt werden. Oder in den Worten von Ochsner ausgedrückt: «Die Notfalltreffpunkte sind Leuchttürme, die auch dann noch leuchten, wenn es sonst überall schwarz ist.»
Pioniercharakter für die ganze Schweiz
Das Konzept hat der Kanton Solothurn zusammen mit dem Aargau erarbeitet. Und auch der Bund, konkret das Bundesamt für Bevölkerungsschutz, war mit an Bord und hat sich an den Kosten beteiligt. Von den Konzeptkosten von insgesamt 200'000 Franken übernahmen die beiden Kantone je 70'000 und der Bund den Rest. Dies hat auch seinen Grund. Denn das von Solothurn und vom Aargau entwickelte System soll bald schon auf die ganze Schweiz ausgeweitet werden. «Wir sind froh, hat der Kanton Solothurn so vorwärtsgemacht und kann das Projekt bereits vorstellen. Wir hoffen jetzt, dass es Schule machen wird und bald flächendeckend in der ganzen Schweiz zur Anwendung kommen wird», sagte Benno Bühlmann, Direktor des Bundesamts für Bevölkerungsschutz, am Donnerstag.
Denn, und davon ist Bühlmann überzeugt, auch in der Schweiz könne jederzeit etwas passieren, und in einem solchen Fall müsse die Bevölkerung wissen, wo sie Informationen und Schutz bekommt. «Die Notfalltreffpunkte sind ein ganz einfaches Mitteln, das einen wichtigen Sicherheitsgewinn in unserem Bevölkerungsschutzsystem bringt.»
Ab 2020 sind sämtliche 139 Standorte bereit
Drei Jahre lang hat der Kanton Solothurn zusammen mit dem Kanton Aargau dieses Konzept ausgearbeitet. Während man im Aargau noch nicht ganz so weit ist, sollen in Solothurn die Notfalltreffpunkte bereits ab 2020 bereit sein. Ab dann wird auch der Aufbau und Betrieb dieser Notfalltreffpunkte regelmässig geprobt werden.
Eingerichtet und betrieben werden die Treffpunkte vom jeweils zuständigen Zivilschutz. Jeweils zwei Personen sind für einen Treffpunkt zuständig. «Das muss im Notfall reichen», so Ochsner. «Wir haben schlicht und einfach nicht mehr Leute. Es ist besser, man bekommt von zwei Personen Auskunft, als von gar niemandem.» Und beim Katastrophenfall, wenn etwa eine Evakuation nötig wird, werden weitere Personen zugezogen, etwa Samariter, Angehörige der Feuerwehr oder Gemeindemitarbeiter.
www.notfalltreffpunkt.ch