Festrede zum Nationalfeiertag 2022 in Beinwil

Sehr geehrte Damen und Herren

 

Im März habe ich an der Versammlung des kantonalen Fleckviehzüchterverbandes hier in Beibel teilgenommen und wir haben über die Herausforderungen in der Landwirtschaft diskutiert.

 

In der Landwirtschafts- und in der Energiepolitik brauchen wir neue Strategien. Die Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Monaten gravierend verändert. Betroffenheit über den Krieg in der Ukraine ist in Europa und in der Schweiz nach wie vor sehr gross. Wir sind eng verflochten und abhängig voneinander. Wir wissen, dass die natürlichen Ressourcen endlich sind und aktuell erleben wir, was es bedeutet, wenn sie praktisch über Nacht knapp werden.

 

Der Bundesrat trägt dieser Entwicklung in seiner neuen Strategie für eine Land- und Ernährungswirtschaft Rechnung: Ernährungssicherheit durch mehr Nachhaltigkeit. Wichtig bleibt die inländische Produktion und auch im Jahr 2050 soll weiterhin mehr als die Hälfte unserer Lebensmittel in der Schweiz produziert und gleichzeitig die Lebensmittelverluste massiv gesenkt werden.

 

Wir stehen alle unter dem Eindruck von stark veränderten Rahmenbedingungen und es spielt heute eine Rolle, was von wo kommt. In der Strategie vom Bundesrat werden deshalb alle in die Pflicht genommen: Die Bauern und Bäuerinnen, die verarbeitende Branche, der Handel und die Konsumenten und Konsumentinnen. Wir alle entscheiden beim Einkaufen mit, was wo auf der Welt produziert wird.

 

Die Stossrichtung des Bundesrates wird von der Landwirtschaft und weiteren interessierten Kreisen grundsätzlich unterstützt, was mich persönlich freut und sehr zuversichtlich stimmt, wenn es bereits im Herbst darum geht, konkrete Massnahmen zu definieren.

 

In der Energiepolitik haben wir die Weichen bereits im Jahr 2017 neu gestellt. Das Energiegesetz wurde mit gut 58% angenommen; auch im Kanton Solothurn, aber nur knapp. Energie spielt immer eine zentrale Rolle und ist für die ganze Volkswirtschaft entscheidend. Sie muss bezahlbar, verlässlich, nachhaltig und seit der Abstimmung vom 2017 vorwiegend einheimisch und erneuerbar sein.

 

Die Abstimmung über die Energiestrategie 2050 hat die Bevölkerung, die Wirtschaft und die Politik gespalten. Atomausstieg, mehr Effizienz und mehr erneuerbare Energien waren die wichtigsten Argumente auf der JA-Seite. Die NEIN-Seite argumentierte mit den hohen Kosten und mit der Versorgungssicherheit.

 

Einig waren sich aber alle, dass eine sichere und kostengünstige Energieversorgung für die Schweiz ein zentraler Standortvorteil ist, den wir auf keinen Fall aufgeben dürfen. Trotz der aktuellen Verunsicherung und stark steigenden Energiepreisen ist die Schweiz insgesamt immer noch gut aufgestellt. Die 2017 beschlossene Energiewende ist sehr ambitioniert, aber immer noch machbar.

 

Was es jetzt aber braucht sind Anpassungen. Der Ausstieg aus Oel und Gas muss schneller gehen. Der Zubau mit erneuerbaren Energien muss ebenfalls beschleunigt werden, damit die Versorgungssicherheit mittel- bis langfristig gewährleistet bleibt. Der dritte, tragende Pfeiler der Energiewende ist die Effizienz. Das Potenzial in diesem Bereich ist sehr gross und wenn wir es ausschöpfen wollen, braucht es weitere Massnahmen und noch viel Innovation.

 

National- und Ständerat sind dabei, das Energie- und das Stromversorgungsgesetz zu revidieren und tragfähige Lösungen zu finden. Angeblich wird mit harten Bandagen gekämpft, aber wir können davon ausgehen, dass die Bereitschaft aufeinander zuzugehen in den letzten Wochen gestiegen ist. Wir werden – falls gewünscht oder gefordert – über die zwei Gesetze, den sogenannten Mantelerlass, abstimmen können.

 

Kantone und Gemeinden warten aber nicht einfach auf den Bund. Im Kanton Solothurn haben wir die Förderprogramme massiv ausgebaut und damit zusätzlich Anreize geschaffen für den Zubau von erneuerbaren Energien, für den Ersatz von Öl- und Gasheizungen und für mehr Effizienz. Ausserdem sind wir dabei, das kantonale Energiegesetz zu revidieren und wir werden in diesem Rahmen weitere Massnahmen vorschlagen.

 

Wir haben schwierige Jahre hinter uns und eine anspruchsvolle Zeit vor uns. Und das in einem Land, das angeblich Krisen nicht gewohnt sei, wie kürzlich ein Bundesrat an einer Sitzung gesagt hat.

 

Krisen gehören aber zum Leben und haben damit zu tun, dass wir Probleme gerne aufschieben. Wir reden lieber von einer Ausnahmesituation anstatt von nötigen Veränderungen und wir hoffen, dass wir am Ende den Kopf schon irgendwie aus der Schlinge ziehen können. Und so überwinden wir Krisen tatsächlich auch immer wieder.

 

Die Frage, die wir uns aber heute stellen sollten ist, welchen Preis sind wir bereit für ein kurzfristiges Krisenmanagement zu bezahlen oder wäre es längerfristig nicht besser, unsere Weichen mehr in Richtung Unabhängigkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit zu stellen. In den kommenden Monaten werden wir entscheiden, in welche Richtung es gehen soll.

 

Ob auf Bundes-, Kantons- oder Gemeindeebene – wir entscheiden gemeinsam. Unsere direkte Demokratie wird zwar manchmal als eher schwerfällig beurteilt. Zusammen mit dem Föderalismus haben wir aber ein politisches System, für das ich dankbar bin. Wir sind gut organisiert. Viele Menschen beteiligen sich am politischen Leben; Initiativen und Referenden werden regelmässig ergriffen und wir alle sind vertraut mit politischen Ausmarchungen.

 

Es ist eine unglaubliche Stärke von unserem System, wenn sich an einem Abstimmungssonntag alle Beteiligten noch einmal in der sogenannten Elefantenrunde treffen. Die Verliererseite akzeptiert ihre Niederlage und die Gewinnerinnen und Gewinner müssen nochmals aufzeigen, wie es weitergehen soll. Und weil wir aber alle immer wieder gewinnen oder verlieren, kennen wir beide Seiten bestens. Die Spielregeln sind bekannt und anerkannt und deshalb funktioniert unser politisches System gut.

 

Wir haben aber in letzter Zeit viele Initiativen und Referenden und es ist nicht immer ganz einfach, den Überblick zu behalten. Vorlagen werden ausserdem komplexer, Diskussionen giftiger und immer öfter lesen und hören nach einer Abstimmung, dass unser Land kreuz und quer von Gräben durchzogen sei.

 

Das tut mir manchmal fast weh, wenn statt der gewohnten Diskussionen und der geschätzten und gelebten Unterschiede plötzlich nur noch von scheinbar unüberwindbaren Gräben die Rede ist.

 

Die Schweiz und insbesondere auch der Kanton Solothurn zeichnen sich aus durch ihre Regionen und gleichzeitig durch ihren Willen zur Einheit. In der Präambel der Bundesverfassung steht denn auch, dass die Schweiz "in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit" leben will.

 

Unser Land zeichnet sich aus durch vier Landessprachen, durch eine enorme Vielfalt der Regionen, Kulturen und durch das friedliche Zusammenleben der Religionen. Wir leben unsere Unterschiede, wir können damit umgehen und darauf sind wir zurecht stolz.

 

Das hat sich auch während der Pandemie gezeigt. Wir alle sind betroffen; privat und viele von uns auch beruflich. Eine sichere Gesundheitsversorgung muss gewährleistet werden. Gleichzeitig sind unsere Freiheitsrechte betroffen. Ein Spannungsfeld ist entstanden, das wir in der Schweiz dank unserem politischen System abschwächen konnten. Wir haben zweimal über das Covid-Gesetz abgestimmt. Das ist weltweit wohl einzigartig. Die direkte Demokratie macht es möglich und vergleichbare Volksrechte gibt es in keinem anderen Staat.

 

Die Schweiz funktioniert, weil die verschiedenen Akteure aus Parteien, Verbänden, Minderheiten oder gesellschaftlichen Gruppen in den politischen Prozess eingebunden sind und wir am Schluss abstimmen können. Wenn das aber nicht mehr richtig funktioniert, können störende Gräben entstehen.

 

Insbesondere in den sozialen Medien kann das passieren. Im weitgehend anonymen, digitalen Raum dominieren Schlagwörter. Jede Gruppe nimmt für sich in Anspruch, Recht zu haben und die nötige Diskussion findet nicht mehr statt. Unterschiedliche Meinungen sind wichtig. Was sich aber verändert, ist unser Umgang damit. Kritik wird auf digitale Plattformen im Sekundentakt verbreitet. Gegenargumente interessieren nicht. Lieber wird eine unversöhnliche Haltung eingenommen statt um Lösungen gerungen. Das passt nicht zu uns, das passt nicht zu unserem politischen System, das passt nicht zur Schweiz.

 

Wir alle tragen nicht nur für uns selbst Verantwortung, sondern auch für unsere Gemeinschaft. Die direkte Demokratie alleine ist keine Garantie dafür, dass nichts mehr falsch läuft. In unserem System können wir Entscheidungen immer wieder hinterfragen und neue Wege suchen. Man kann immer etwas machen, korrigieren oder ändern. Wichtig ist, dass wir Argument und Gegenargument suchen, gewichten und erst nach einer umfassenden Abwägung die Weichen neu stellen.

 

Ich bin unseren Vorfahren sehr dankbar für ihren Weitblick. Insbesondere in der Energie- aber auch in der Ernährungspolitik haben sie die Weichen für die Schweiz so gestellt, dass wir bis heute davon profitieren können.

 

Ich hoffe, dass unsere Weichenstellung dereinst von unseren Nachfahren ebenfalls dankbar und anerkennend beurteilt werden kann. Das kann und sollte unser Massstab sein für die kommenden Entscheidungen.

 


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Kommentare: 1
  • #1

    Anna Duca (Mittwoch, 03 August 2022 10:19)

    Ausgezeichnete Rede! Schade habe ich sie nicht live gehört.

    Zwei Überlegungen meinerseits:

    Ja, im politischen Prozess können sich alle einbringen. Die Lobby der Verbände ist aber viel zu stark!

    Ersatz Gas- und Ölheizung: Finde ich super! Als Alleineigentümerin habe ich nicht das Geld für eine Wärmepumpe! Der „kleine“ Betrag den man hierzu vom Stast erhält, ändert nichts an der Tatsache, dass die Kosten massiv höher sind als der Ersatz meiner Gasheizung. Plus: Ich wohne in einem Einfamilienhaus mitten in einem Einfamilienquartier mitten in der Stadt. Wir EigentümerInnen hocken praktisch aufeinander. Selbst wenn ich das Geld hätte, müsste die Wärmepumpe in der Nähe meines Sitzplatzes und meines Schlafzimmers liegen. Nicht nur, die Geräusche der Wärmepumpe würden meine Idylle massiv einschränken; PLUS diejenige meiner NachbarInnen. Streitereien wären vorprogrammiert. Ich habe ein super Verhältnis mit meinen Nachbarn. Mein Nachbar sagte einmal, wir im Quartier seien praktisch eine Familie. Ein solche tolle Nachbarschaft setzt man nicht auf das Spiel.

    Deine Rede liebe Brigitte war super. Wir in Grenchen sind mit Dir als (grüne) RR sehr zufrieden; und dies über die Psrteigrenzenbhinaus.

    Cari saluti, Anna