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Sind 107 Gemeinden im Kanton Solothurn zu viel?

Regierungsrätin Brigit Wyss nimmt Stellung zur Fusionsabstimmung

Solothurner Zeitung, Christof Ramser, 01.03.2023

«Der Kanton Solothurn würde nach wie vor eher bescheidene Fusionsbeiträge sprechen», sagt Regierungsrätin Brigit Wyss. Foto: Carole Lauener

 

Am 12. März wird im Kanton über höhere Fusionsbeiträge abgestimmt. Volkswirtschaftsdirektorin Brigit Wyss, der das Amt für Gemeinden untersteht, äussert sich zur umstrittenen Vorlage.

 

Brigit Wyss, Sie haben kurz vor der Abstimmung über die Fusionsbeiträge ein Interview angeboten – befürchten Sie, dass die Vorlage keine Mehrheit findet?

 

Brigit Wyss: Nein, ich hoffe sehr, dass die Vorlage angenommen wird. Weil das Geschäft aber komplex ist, gerade für jene, die sich noch nie mit Fusionen auseinandergesetzt haben, möchte ich dessen Tragweite erläutern. Es geht um einen strategischen Prozess, den der Regierungsrat befördern will.

 

Sie sind in Lüsslingen aufgewachsen, einer Gemeinde, die es heute so nicht mehr gibt. Trauern Sie Lüsslingen nach?

 

Der Name besteht in der Fusionsgemeinde Lüsslingen-Nennigkofen ja weiterhin. Bereits als ich noch dort lebte, gab es eine starke Zusammenarbeit zwischen den Gemeinden. Wir turnten zusammen in der gemeinsamen Mehrzweckhalle, hatten eine gemeinsame Schule. Die Fusion war der letzte Schritt. Solche Prozesse sind stets auch emotional. Doch sie finden im Kanton Solothurn von unten nach oben statt. Die Entscheide werden immer der Stimmbevölkerung aus jenen Gemeinden obliegen, die sich zusammenschliessen wollen.

 

Weshalb braucht es dann die Beiträge?

 

Sie können ein Schmiermittel sein, damit keine Gemeinde Angst haben muss, finanziell auf der Strecke zu bleiben. Die Beiträge sind im Gemeindegesetz schon heute vorgesehen. Neu sollen sich zwei Dinge ändern: Auf bereits fusionierten Gemeindegebieten sollen weitere Fusionen in Angriff genommen werden können. Und: Der bisherige Deckel von 500 000 Franken soll gehoben werden, damit auch grössere Fusionen angestossen werden können.

 

Damit würden bei einer Fusion von Trimbach mit Olten oder Zuchwil mit Solothurn deutlich über 1 Million Franken fliessen. Kann sich der Kanton dies leisten?

 

Angesichts der angespannten Finanzlage kann man sich diese Frage durchaus stellen. Doch solche Grossprojekte sind derzeit nicht in der Pipeline. Dennoch hat der Kantonsrat genau deswegen den Fusionsbeitrag für Gemeinden mit über 10 000 Einwohnenden gekürzt. Unsere Perspektive ist aber langfristig. Seit die Staatsbeiträge 2005 eingeführt wurden, hat der Kanton übrigens 8 Millionen an Fusionsbeiträgen ausbezahlt.

 

Gemäss Fusionsexperte Reto Steiner* ist eine Gemeinde mit weniger als 1000 Einwohnenden nur schwer zu rechtfertigen.
Im Kanton fallen ganze 32 Gemeinden unter diese Kategorie. Können Sie die Aussage nachvollziehen?

 

Ich würde diese Frage nicht an einer festen Bevölkerungszahl festmachen. Sie hängt viel mehr davon ab, wie die Menschen, die in einem Raum leben, die Aufgaben der Gemeinde inskünftig sinnvoll erledigen wollen. Sei es aus geografischen oder anderen Gründen.

 

Im Kanton Solothurn gibt es 107 Gemeinden. Ist das zu viel?

 

Der Kanton Solothurn ist kleinräumig aufgestellt. Es gibt viele Klein- und Kleinstgemeinden, die ihre Aufgaben nicht mehr so wahrnehmen können, wie sie gerne möchten. Ausdruck davon sind 150 interkommunale Organisationen der Zusammenarbeit. Einige davon fallen nach einer Fusion weg.

 

Der Regierungsrat will mit dieser Vorlage den Gemeinden Hand bieten zur Optimierung, damit sie die finanziellen und personellen Ressourcen haben, um allen Einwohnenden die gleichen Leistungen zur Verfügung stellen zu können. Dies mit einer Perspektive von zehn bis zwanzig Jahren. Nachdem zwischen 2014 und 2020 keine Staatsbeiträge ausgerichtet wurden, möchten wir Fusionsdiskussionen nun wieder ermöglichen.

 

 

Wie viele Gemeinden sind auf lange Frist sinnvoll?

Das ist derzeit schwierig zu beantworten. Im Legislaturplan will der Regierungsrat eine langfristige Perspektive bis 2035 entwickeln. Dieser strategische Prozess wurde aber erst gestartet und muss mit den Gemeinden diskutiert werden.

 

Ist es eine Staatsaufgabe, Fusionen zu fördern?

 

Ganz klar: ja. Ein starker Kanton braucht starke Gemeinden. Es kann dem Kanton nicht egal sein, wie seine Gemeindelandschaft aussieht. Sie ist ein Standortvorteil und hat beispielsweise auch einen Einfluss auf den Finanzausgleich. Wir wollen unserer Bevölkerung optimale Bedingungen zur Verfügung stellen. Die Prozesse müssen aber von unten angestossen werden, der Kanton greift hier weder vor noch ein.

 

Gegner befürchten Mehrkosten aufgrund der Fusionen. Zu Recht?

 

Es hängt davon ab, was die Stimmbürger mit dem Synergiegewinn wollen: ein Ausbau der Dienstleistungen oder eine Anpassung des Steuerfusses. Im Bucheggberg, wo sich zehn Gemeinden zusammengeschlossen haben, wurde zum Beispiel der Steuerfuss gesenkt. Unsere bisherige Erfahrung ist, dass Fusionen nicht zu Mehrkosten führen. Wir wollen dies aber im Zusammenhang im Projekt Gemeindelandschaft 2035 genauer untersuchen, um den Gemeinden Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung zu stellen.

 

Können Sie nachvollziehen, dass die Identifikation mit einem Gemeinwesen in einem grösseren Gebilde verloren geht und die ehrenamtliche Partizipation leidet?

 

Ich kann verstehen, dass es diese Befürchtung gibt, wenn bei einer Fusion die Ortschaft zu einem so genannten Ortsteil einer grösseren Gemeinde wird. Wir haben aber festgestellt, dass es vor den Fusionen im Bucheggberg in Gemeinden zu stillen Wahlen kam. Dies ist heute nicht mehr der Fall. Und auch Niederwil engagiert sich nach der Fusion mit Riedholz wieder aktiv im Gemeinderat.

Wir machen also die Erfahrung, dass das Bewusstsein für die neuen Gemeinden vorhanden ist und dass sich die Einwohnenden dafür einsetzen. Das zeigt sich an den Gemeindeversammlungen: Wer ein Anliegen vorbringen will, tut dies dort. In Solothurn besuchen im Schnitt 60 bis 80 Personen eine Gemeindeversammlung. Wer sich für ein Geschäft einsetzt, kann gut und gerne 300 bis 400 Personen mobilisieren.

 

Auch der Einwohnergemeindeverband, der die kleinen Gemeinden in ihrem Bestand schützen will, ist für die Vorlage. Haben Sie mit der Unterstützung gerechnet?

 

Eigentlich schon. In den Kommissions- und Kantonsratsdebatten haben sich die Gemeindepräsidien stets positiv zur Vorlage geäussert. Der Verband setzt sich für seine Mitglieder ein, doch auch er hat erkannt, dass die Anforderungen an Gemeinden ständig zunehmen. Wichtig ist: Fusionieren muss nach wie vor niemand, der nicht will.

 

Wie stark ist der Solothurner Fusionssupport im Vergleich?
Bern zum Beispiel ist deutlich forscher unterwegs.

 

Es gibt Kantone wie Bern, die mit wesentlich mehr finanziellen Mitteln versuchen, die Fusionsprozesse zu beschleunigen. Dort ist der Pro-Kopf-Beitrag mit 400 Franken deutlich grösser. Auch im Kanton Freiburg und Luzern sind die Zahlen teilweise höher.

Sie lassen sich jedoch nicht eins zu eins vergleichen, da andere Kantone im Gegensatz zu Solothurn teilweise keine Besitzstandsgarantie beim Finanzausgleich eingebaut haben. Was sich sagen lässt: Der Kanton Solothurn würde nach wie vor eher bescheidene Beiträge sprechen.

*Link zum Artikel von Fusionsexperte Reto Steiner