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Hätten Sie sich nicht ein strengeres Energiegesetz gewünscht, Brigit Wyss?

«Mit Forderungen zu kommen, die keine Mehrheiten haben, reicht mir nicht»

Solothurner Zeitung, Christof Ramser, 30.06.2023

Spricht von einem «programmatischen Gesetz, das aufzeigt, wo es Massnahmen braucht»: Volkswirtschaftsdirektorin Brigit (Bild: Carole Lauener).

Der letzte Versuch, das kantonale Energiegesetz zu überarbeiten, scheiterte 2018 krachend. 70 Prozent der Stimmbevölkerung erteilten damals den vorgeschlagenen Massnahmen der Regierung, um Netto-Null 2050 zu erreichen, eine Abfuhr. Nun liegt ein neuer Gesetzesentwurf vor, vergangene Woche stellte ihn Volkswirtschaftsdirektorin Brigit Wyss vor. Der Entwurf unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von der alten Vorlage.

 

Der Gesetzesentwurf liegt vor. Haben Sie eigentlich seit der Niederlage 2018 daran gearbeitet?

 

Brigit Wyss: Wir haben seither am Gesamtwerk gearbeitet. Zuerst haben wir die Ablehnung aufgearbeitet und einen Stakeholderprozess gemacht. Wir haben alle Beteiligten an einen Tisch geholt, etwa Parteien, die Wirtschaft, Hauseigentümer und Gemeinden. Dort konnten wir uns bereits auf einige Punkte einigen.

 

Etwa auf das Ziel: Netto-Null bis 2050. Oder auf einen CO2-Absenkpfad statt eines Verbots von fossilen Heizungen. Dann kam die Pandemie, die alles zum Stillstand brachte. Ohne Corona hätten wir das Energiekonzept, welches als Grundlage diente, aber auch den Gesetzesentwurf wohl mindestens ein Jahr früher fertig gehabt.

 

Das Gesetz setzt auf viel Förderung und nur sehr wenig Zwang. Es wirkt ein wenig wie ein Kompromiss des Kompromisses.

 

Das ist es nicht. In vielen Punkten waren sich alle einig: Wir brauchen eine schnellere Sanierungsrate, wir wollen Netto-Null, wir wollen viel Förderung, etwa von Elektromobilität, wir wollen aber auch eine Energieplanung in den Gemeinden. Das sind viele neue Punkte. Kompromisse hat es eigentlich nur zwei.

 

Zum einen die Solarpflicht respektive Eigenstromerzeugungspflicht. Wir hätten weiter gehen können, sie etwa auch bei grösseren Umbauten anordnen. Wir haben uns jetzt ausschliesslich auf Neubauten beschränkt.

 

Und der andere?

 

Die Einführung von CO2-Grenzwerten statt eines Verbots fossiler Heizungen. In dieser Fassung ist das Gesetz mehrheitsfähig. Und: Diese Fassung reicht, um bei den Heizungen bis 2050 die CO2-Neutralität zu erreichen. Allerdings hatten wir noch ein anderes Problem.

 

Nämlich?

 

Die Effizienz darf nicht vergessen gehen. Viele Leute haben bereits fossilfreie Heizungen eingebaut. Doch diese in einem schlecht isolierten Haus einzubauen, das ist nur die halbe Miete. Darum: Wir haben nicht den Kompromiss des Kompromisses geschlossen, sondern einen ganzheitlichen Ansatz gewählt. Denn genauso wichtig ist es, dass wir weniger Energie verbrauchen. Das können wir nur, wenn wir sanieren.

 

Dann ist das nicht eine abgeschwächte Neuauflage des alten Gesetzes, sondern …

 

Etwas komplett Neues. Ein programmatisches Gesetz, das aufzeigt, wo es Massnahmen braucht. Das den Weg aufzeigt, den wir gehen wollen. Mit ziemlich vielen Massnahmen und ziemlich schnell.

 

Klappt es diesmal? Im Kantonsrat, und, falls nötig, auch an der Urne?

 

Wir stehen am Anfang des politischen Prozesses. Ich bin sehr gespannt auf diesen. Aber ich glaube, allen Interessierten ist klar, dass wir eine Vorlage zimmern müssen, die Mehrheiten finden wird. Das abgelehnte CO2-Gesetz war ein Schockerlebnis. Es war ein bitteres Lehrstück für beide Seiten. Für die, die mehr wollten, und für die, die weniger wollten. Denn nichts tun, das will niemand mehr.

 

Gab es schon Reaktionen?

 

Wir haben den Gesetzesentwurf auch Vertretern der Parteien vorgestellt und bekamen einige gute Inputs. Oftmals waren es aber Details, Punkte zum Verständnis und nichts Grundsätzliches. Wir haben sicher nicht auf Halde gearbeitet. Und es war gut, dass alle Beteiligten des Stakeholderprozesses signalisierten, dass sie weiterkommen wollen.

 

 

Reicht das Gesetz für Netto-Null bis 2050?

 

Ja.

 

Da sind Sie so sicher?

 

Absolut. Und wenn es nicht reicht, werden Massnahmen beschlossen. Doch wir ersetzen bereits heute mehr fossile Heizungen als je zuvor, die Wirtschaft kommt fast nicht hinterher. Man wartet heute teilweise lange auf eine Wärmepumpe. Wenn das Mengengerüst in der Wirtschaft stimmt, geht es sogar noch schneller. Was wir nun wollen, ist, dass die Leute eine gesamtheitliche Betrachtung machen. Dass sie die Häuser also auch isolieren.

 

Denn: Neu ist jetzt noch das Thema Versorgungssicherheit auf kantonaler Ebene dazugekommen. All die Wärmepumpen, so gut sie auch sind, brauchen Strom. Es bringt nichts, mit so einer Heizung aus dem Fenster rauszuheizen. Das schafft auch Probleme.

 

 

Haben Sie keine Angst, dass dieses Gesetz dem linken Lager zu wenig weit geht und es von dieser Seite Widerstand gibt?

 

Widerstand nicht, aber es wird Forderungen geben. Die werden wir diskutieren.

 

Zum Gesetz an sich: Ein Knackpunkt dürften die CO2-Grenzwerte bei fossilen Heizungen sein. Diese orientieren sich an Mustervorschriften. Wie streng sind die? Läuft es auf ein faktisches Verbot von fossilen Heizungen raus?

 

Das war tatsächlich das letzte Mal eine Klippe im Gesetz. Was, wenn die fossile Heizung im Winter ausfällt? Dann muss man sich schnell einen neuen Brenner besorgen können, etwas anderes liegt nicht drin. Das ist mit dem neuen Gesetz problemlos möglich, da es lediglich um den Austausch eines defekten Ersatzteils der Anlage geht.

 

Erst beim Austausch des gesamten Heizsystems wird man mit dem Gebäudeausweis aufzeigen können, welche Massnahmen für mehr Effizienz notwendig wären, falls man nochmals eine fossile Heizung einbauen möchte. Es werden damit die vielen verschiedenen Möglichkeiten aufgezeigt. Welche dann aber tatsächlich ausgewählt wird, schreiben wir nicht vor. Einzig das Ziel geben wir vor, den zulässigen CO2-Ausstoss pro Energiebezugsfläche des Gebäudes.

 

Wie ist es bei einem älteren, schlecht isolierten Haus? Können dort Effizienzmassnahmen so teuer werden, dass man sich den Heizungsersatz mit einer fossilen Heizung gar nicht leisten kann?

 

Es gibt Härtefallmassnahmen. Das war uns ganz wichtig, das haben wir das letzte Mal zu wenig genau angeschaut. Ein Beispiel: Wenn klar ist, dass das Haus in wenigen Jahren verkauft wird, dann soll sich der neue Eigentümer darum kümmern. Und nicht jemand mit 80, bei dem die Heizung im Winter aussteigt. Was zudem wichtig ist: Die Absenkpfade sind schweizweite Standards, die wir anwenden. Wir machen keinen Alleingang.

 

Ein zweiter Knackpunkt dürfte die Solarpflicht sein. Haben Sie keine Angst, dass das Gesetz deswegen scheitert?

 

Nein. Vorgeschrieben wird, wie viel Watt Leistung pro Quadratmeter Energiebezugsfläche installiert werden muss. Kürzlich hat der Bund eine Vernehmlassung gemacht, die weiter geht als das. Dort werden grössere Anlagen explizit gefördert. Das Ziel: Es soll nicht nur das absolute Minimum gemacht, sondern die Dächer sollen gut ausgenutzt werden.

 

Wie ist es für Sie persönlich? Hätten Sie sich als grüne Politikerin nicht ein strengeres Gesetz gewünscht? Eine Solarpflicht bei grösseren Umbauten zum Beispiel?

 

Mir geht es um die Sache. Wir sehen ja, was in der Gesellschaft aktuell passiert. Wie viele Leute von der fossilen Abhängigkeit wegkommen wollen. Die Entwicklung hat eine unglaubliche Dynamik. Für mich ist es wichtig, dass wir diesen Weg jetzt konsequent weitergehen. Unter dem Strich bringt uns das viel mehr, als das Maximum zu fordern und nochmals an der Urne zu scheitern. Dafür haben wir keine Zeit mehr. Wir müssen jetzt vorwärtsmachen. Und …

 

Ja?

 

Das Gesetz ist nicht für die nächsten 30 Jahre. Je nach Entwicklung in den nächsten Jahren kann man bereits reagieren. Vielleicht ist dann Wasserstoff noch stärker ein Thema. Vielleicht eine andere Technologie. Es geht so schnell. Es geht aber auch schnell, bis 2050 ist. Darum müssen wir uns absichern, dass wir den eingeschlagenen Weg als Gesellschaft auch zu Ende gehen.

 

Die Energiewende ist eine tiefgreifende Geschichte, die in so viele Bereiche eingreift. Mit Verboten zu kommen oder anderen Forderungen, die keine Mehrheiten haben, um sich zu profilieren, reicht mir nicht. Ich will, dass etwas passiert. Ich stehe hinter allen Zielen der Grünen. Aber den Weg dorthin, den zeigen wir jetzt auf.

 

 

Seit 2018 ist sehr viel passiert, kürzlich wurde etwa das Klimaschutzgesetz angenommen. Hätten Sie nicht ein strengeres Gesetz zimmern können, ohne Angst haben zu müssen, dass es scheitert?

 

Angst habe ich sowieso nicht. Wenn es scheitert, dann scheitert es. Ich möchte aber ein Gesetz, bei dem ich die Bevölkerung mitnehmen kann. Erfolgreich werden wir nur sein, wenn die meisten am gleichen Karren ziehen. Es muss ins Bewusstsein der Leute, dass wir Handlungsbedarf haben.

 

Dann gibt es die andere Seite, die argumentiert: Schaut, was aktuell alles passiert, wie viele Heizungen ersetzt werden ohne dieses Gesetz. Es braucht das Gesetz also gar nicht.

 

Doch. Denn wir brauchen Kontinuität. Wir müssen den Investoren die Sicherheit geben, dass wir diesen Weg auch gehen. Sollte sich die Situation entschärfen, ist der Handlungsdruck vielleicht nicht mehr so hoch. Aber ich möchte, dass wir diesen Weg konsequent gehen.

 

Wobei sich die Situation rund um den Klimawandel nicht entschärfen wird.

 

Nein, ich meinte das natürlich in Bezug auf die Strom- und Gaspreise. Die Energiewende ist ein Generationenprojekt. Dabei müssen wir die Leute nicht vor den Kopf stossen. Wir sehen ja, was alles passiert. So viele Leute bemühen sich heute schon. Doch mit diesem Gesetz kommen wir endgültig auf die Spur. Und die Innovationen und Technologien, die uns dabei helfen, kommen sowieso.

 

Dann klappt es mit der Energiewende also?

 

Ja, da bin ich sehr zuversichtlich. Sie ist aber ambitioniert. Darum müssen wir jetzt loslegen. Und auch wenn die Schweiz oder wir als Kanton nur einen kleinen Beitrag leisten können, ist dieser Beitrag doch extrem wichtig. Unsere Aufgabe als eines der reichsten Länder ist es, Innovation zu bringen, auch für die anderen.

 

Von Ländern, in denen die Leute schauen müssen, wie sie alles, was sie brauchen, auf den Tisch bekommen, kann man nicht fordern, auch noch innovativ zu sein. Aber wir können das. Das ist unsere Verantwortung. Sei es beim Wasserstoff, bei der Speicherung allgemein, der Umwandlung. Es ist an uns, dort voranzugehen. Dann können andere davon profitieren. Und dadurch natürlich auch wir.

 

 

Kanton schafft Fachstelle Energie und Klima

 

Mehr Klimaschutz ist eines der Legislaturziele der Solothurner Regierung. Trotzdem gibt es bei der Verwaltung kaum Stellen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Vereinzelt welche im Amt für Umwelt, das im Bau- und Justizdepartement von Sandra Kolly angesiedelt ist. Und einige in der Energiefachstelle, die zum Amt für Wirtschaft und Arbeit gehört, welches wiederum im Volkswirtschaftsdepartement von Brigit Wyss angehängt ist. Alleine das zeigt schon: Bei der Organisation gibt es noch Luft nach oben. Nun hat die Regierung entschieden, die Kräfte in Sachen Klimaschutz zu bündeln. Konkret wird die Energiefachstelle in die Abteilung Energie und Klima weiterentwickelt. Dort sollen die kantonalen Bemühungen in Sachen Klimaschutz künftig koordiniert werden.

 

Auf den Kanton kommen tatsächlich mehrere Aufgaben zu. Etwa die Umsetzung des nationalen Klimaschutzgesetzes und, wenn es denn zum Fliegen kommt, des kantonalen Energiegesetzes. Stichworte sind hier etwa die Planung von Solargrossanlagen oder Windparks, aber auch das Aufgleisen der ganzen Förderprogramme. Dann hat der Kanton auch noch den Massnahmenplan Klimaschutz umzusetzen. Das ist ein Auftrag, den der Kantonsrat der Regierung gegeben hat und der thematisch sehr nahe am Energiegesetz ist.

 

Geht es im Energiegesetz hauptsächlich um Gebäude und die Förderung erneuerbarer Energien, soll der Massnahmenplan, grob gesagt, alle anderen Bereich abdecken. Es geht etwa um die Förderung nachhaltiger Baustoffe, um die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre, um die Förderung von ÖV-Angeboten, um die Sensibilisierung von Landwirten oder auch die Förderung nachhaltiger Projekte in der Industrie.

 

Ohne zusätzliche Stellen lassen sich diese Projekte kaum umsetzen. Wie gross das Team der Fachstelle Energie und Klima dereinst werden wird, könne sie noch nicht sagen, sagt Brigit Wyss. Es werden aber einige wenige zusätzliche Stellen sein, die man beim Kantonsrat beantragen werde. (rka)

 


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